Bild von Mutter und Tochter, die sich umarmen

Orale Verhütung für alle?

22.06.2022
Kontrazeption
Die Pille gehört immer noch zu den beliebtesten Kontrazeptiva. Gleichzeitig rücken aber auch ihre Risiken immer stärker in unser Bewusstsein.

Die Pille gehört immer noch zu den beliebtesten Verhütungsmethoden. Gleichzeitig rücken aber auch die Risiken der hormonellen Kontrazeptiva immer stärker ins Bewusstsein von Ärzt*innen und Anwenderinnen.

Über den Stellenwert neuartiger, estrogenfreier Präparate sprach GynAktuell mit der Expertin für gynäkologische Endokrinologie Dr. med. Katrin Schaudig. Als Fachärztin für Gynäkologie und Geburtshilfe mit eigener Praxis in Hamburg und Präsidentin der Deutschen Menopause Gesellschaft e. V. engagiert sich Dr. Schaudig besonders für die Fortbildung in ihrem medizinischen Spezialgebiet.

 

Frau Dr. Schaudig, die Pille feiert in diesem Jahr bereits ihren 62. Geburtstag und ist immer noch die beliebteste Verhütungsmethode. Welchen Stellenwert sehen Sie für estrogenfreie Pillen aktuell und zukünftig in der gynäkologischen Praxis?

Ja, die Pille ist eine einfach anzuwendende und zuverlässige Verhütungsmethode. Kein Wunder, dass sie für die meisten Frauen immer noch die erste Wahl in Sachen Verhütung ist.

Das Bewusstsein um das erhöhte Thromboserisiko bei Anwendung kombinierter oraler Kontrazeptiva (KOK) führte in den letzten Jahren dazu, verstärkt reine Gestagen-Monopräparate mit Desogestrel einzusetzen. Estrogenfreie Pillen (POP) erhöhen nach aktueller Datenlage das Thromboserisiko nicht, werden aber bisher mit mehr oder weniger ausgeprägten Blutungsstörungen assoziiert. Es steht nun eine neue estrogenfreie Pille mit dem Gestagen Drospirenon zur Verfügung. Im Vergleich zum Desogestrel-Monopräparat zeigt sie ein besseres Blutungsmuster, mit dem die Anwenderinnen zufriedener sind. Eine solche Pille sollte doch sehr gute Chancen bei den Frauen haben.

 

Welchen Frauen empfehlen Sie die neue estrogenfreie Pille besonders?

Generell kann die estrogenfreie Pille mit Drospirenon jeder Frau ab ihrer ersten Menstruation verschrieben werden – auch den stillenden Frauen. In der Praxis sehen wir immer mehr Frauen mit bestimmten Risikofaktoren für Thrombose wie Alter 35 Plus, Übergewicht und Nikotinkonsum. Diesen Frauen sollten wir nach den aktuellen Leitlinien zur Anwendung von Verhütungsmethoden keine Kombinationspräparate verschreiben. So liegt es doch auf der Hand, vor allem diesen Frauen die neue estrogenfreie Pille zu verordnen.

 

Durch die jahrelangen Schlagzeilen in der Presse haben sich Vorbehalte gegenüber Drospirenon gebildet. Was denken Sie darüber?

Es ist wichtig, hier zu differenzieren. Die Schlagzeilen in der Presse beziehen sich auf Thrombosefälle, die durch die Anwendung oraler Kombinationspräparate verursacht sein sollen. Also durch Präparate, die neben dem Gestagen zusätzlich eine Estrogenkomponente enthalten.

Estrogenfreie Pillen erhöhen das Thromboserisiko nach allem, was wir derzeit wissen, nicht. Auch bei der neuen estrogenfreien Drospirenon-Pille wurden in den klinischen Studien mit mehr als 20.000 Anwendungszyklen weder venöse noch arterielle Thrombosen beobachtet.1

Drospirenon ist ein Gestagen, das dem natürlichen Progesteron in seinen Partialwirkungen ähnlich ist, z. B. was die antimineralokortikoide Eigenschaft betrifft. Seine anti-androgene Partialwirkung zeichnet es gegenüber den anderen Gestagenen, die bislang in der estrogenfreien Kontrazeption verwendet werden, aus, was sich möglicherweise in günstigeren Effekten auf Haut und Haare niederschlagen wird.

1. alacios S, Colli E, Regidor PA. Efficacy and cardiovascular safety of the new estrogen-free contraceptive pill containing 4 mg drospirenone alone in a 24/4 regime. BMC Womens Health. 2020 Oct 2;20(1):218. DOI: 10.1186/s12905-020-01080-9. (Open Access)